2 Februar 2012

Die Presse – Schaufenster, Kritik von Wilhelm Sinkovicz

Amir Katz: Chopins Nocturnes

Bei Schnitzler können wir’s nachlesen: Chopins „Nachtstücke“ taugen zu artiger Stimmungsmalerei – und sind entsprechend oft missbraucht worden. Man kann diese Musik auch ihrer „O wie wohl ist mir am Abend“-Folie entkleiden und ihren höchst unterschiedlichen Ausdrucksbereichen nachspüren. Der israelische Pianist Amir Katz (Jahrgang 1973), er hat jüngst sein erfolgreiches Wiener Musikvereins-Debüt absolviert, legt eine Gesamteinspielung des Nocturnes-Zyklus vor, die diesbezüglich aufhorchen lässt: Da musiziert einer, frei von falscher Verzärtelung, spürt den variantenreichen Stimmungswelten nach, die Chopin in seinen Piecen beschwört, wird zuweilen auch schroff – und steckt damit den Ausdrucksrahmen viel weiter ab, als das in den gängigen Interpretationen üblich ist. So empfindet der Hörer dramaturgische Effekte weit stärker als gewohnt. Und plötzlich kann der Musikfreund die ganze Reihe durchhören, ohne Ermüdungserscheinungen durch allzu eingeebnete Stimmungswerte. Bemerkenswert.

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