26 November 2007

Hellweger Anzeiger, Unna, Kritik von Rainer Ehmanns

Gespür für Harmonie
Pianist Amir Katz gab gestern Abend ein atemberaubendes Meisterkonzert

Unna. Erst nach zwei Zugaben entließ das begeisterte Publikum am Sonntagabend den Pianisten nach einem atemberaubenden Konzert. „Sie dürfen ruhig applaudieren!“, so Amir Katz nach dem h-moll-Adagio KV 540 von W.A. Mozart. Fast mit Händen greifbar schien die Stille, nachdem der letzte Ton verklungen war. Denn hier erschien ein anderer Mozart: düster, klagend, ratlos fragend, fahl und voller Melancholie, die im Rondo a-moll, KV 511 zu wehmütiger Resignation wurde, die sich in der manchmal fast zögernden Wiederholung des Rondothemas spiegelte.

Gleichsam als Steigerung danach die a-moll-Sonate KV 310, deren hämmernde Akkorde des Allegros wie eine Auflehnung gegen das unbarmherzige Schicksal klingen, deren wunderschöne Kantilene im Andante durch dynamische Kontraste und klopfende Martellato-Achtel hinterfragt wird, deren Presto-Thema im dritten Satz hinterlistig wie auf Samtpfoten daherkommt und sich als rastlose Qual entlarvt. Wenn Amir Katz diese Musik durch sein Spiel plastisch werden lässt, offenbart er nicht nur vollendetes pianistisches Können, sondern äußerst sensibles Empfinden für Nuancen, denen er mit jedem Anschlag treffenden Ausdruck verleiht.

Umso stupender wirkt die traumwandlerische Sicherheit, mit der er nach der Pause die 12 Etüden op. 10 von F. Chopin zu differenzierten Charakterstücken gestaltet. Wiewohl „Etüden“ als Übungsstücke für die Steigerung der technischen Fertigkeiten gedacht sind, werden sie bei Katz nicht nur Bravourstücke, in denen er all sein virtuoses Können in den Dienst der Interpretation stellt. Hier entsteht eine ganze Welt gesteigerten Klangempfindens, mal in kraftvollen Bassläufen unter weit ausladenden Arpeggio-Akkorden, mal in perlenden chromatischen Läufen, in wunderschönen Kantilenen, die ein furioses Intermezzo umrahmen, mal schwermütig, dann wieder drängend, hier schwebende Klangteppiche, dort vollgriffige Akkorde.

Flinke Behändigkeit erzeugt ein irisierendes Flirren bis zum leisesten Echo-Schluss. Da wundert es fast nicht mehr, wenn Katz‘ kluges Gespür für Harmonie das Publikum mit den beiden Chopin-Walzern Es Dur, op. 18 und cis-moll, op. 64,2 als Zugabe in gelöste Stimmung versetzt. Dieser Pianist macht süchtig!

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